Lebewesen Pilz

Wenn man gemeinhin von "Pilzen" spricht, so meint man oftmals nur die für jedermann sichtbaren Fruchtkörper eines Pilzes, die während der Phase der Sporenbildung (Fruktifizierung) erscheinen und meist einziges sichtbares Zeichen der Existenz eines bestimmten Pilzes sind. Dabei vergißt man nur allzu leicht, daß, um diese Fruchtkörper hervorzubringen, ein meist wesentlich größeres Pilzgeflecht (Myzel) im Verborgenen wirken muß.

Pilzmycel, Mycel
Pilzmyzel in der Laub-Nadel-Streu unter einem losgetretenen Stein.

Das weiße Pilzgeflecht (Myzel) auf dem obenstehenden Bild ist der eigentliche Körper des Pilzes. Das, was man gewöhnlich als "Pilz" bezeichnet, ist nur der Fruchtkörper bzw. das Fortpflanzungsorgan des Pilzes, das die Sporen ausbildet und verbreitet und damit die Fortpflanzung sichert. Das fädige Pilzgeflecht (Myzel bzw. Mycelium) besteht aus länglich-fädigen Pilzzellen (Hyphen) und nimmt aus dem Substrat lebensnotwendige Substanzen auf, beispielsweise Wasser und Mineralien, aber auch Kohlenhydrate, Wachstumshormone und Vitamine, die der Pilz mangels der Fähigkeit zur Fotosynthese nicht selbst herstellen kann.

 

Meistens läßt sich die Art eines Pilzes am leichtesten anhand seiner charakteristischen Fruchtkörper bestimmen, ähnlich wie die Blütenpflanzen anhand ihrer Blüten.

 

Pilze sind faszinierende Lebewesen: sie vereinen sowohl Eigenschaften tierischer als auch pflanzlicher Organismen in sich. Noch bis ins vorige Jahrhundert hinein wurden die Pilze als Teil des Pflanzenreichs betrachtet und so finden sich in älteren Pflanzenbüchern oftmals auch Abhandlungen und Abbildunge zu Pilzen. Hier ein paar Abbildungen aus einem alten Schulbuch (Schmeil, Franke, Rabes: Pflanzenkunde, 1927). Gezeichnet wurden sie von Maria Kallenbach, der Ehefrau des deutschen Pädagogen und Mykologen Franz Kallenbach (*1893, +1944).

Erst spät wurde klar, daß die Pilze ein eigenes Reich bilden. Molekulargenetische Untersuchungen bestätigten, daß die Pilze stammesgeschichtlich (phylogenetisch) eine Zwischenstellung zwischen den Reichen der Tiere und Pflanzen einnehmen.

 

Ein Teil der Pilze- z.B. die Niederen Pilze (Fungi imperfecti) haben jedoch keine gemeinsamen Vorfahren; sie ähneln sich zwar morphologisch, sind jedoch aus unterschiedlichen Vorfahren entstanden und genetisch nicht direkt miteinander verwandt; ihre Ähnlichkeit hat sich ökologisch (durch Anpassung an gleiche Umweltbedingungen), und nicht phylogenetisch (durch die Abstammung von gemeinsamen Vorfahren), entwickelt.

Und einige der früher den Pilzen zugeordnete Lebewesen sind völlig aus der Art geschlagen: sie können sich bewegen, leben teilweise räuberisch und verfügen über einen gewissen Grad an Intelligenz. So verwundert es nicht, daß z.B. die Schleimpilze (Myxomycetes) früher mitunter dem Tierreich zugeordnet wurden.

 

Kladogramm Eukarya

Das Kladogramm zeigt den Stammbaum der eukaryotischen Lebewesen; Bacteria und Archaea nur angedeutet. Anhand von Sequenzierungsanalysen der 16S bzw. 18S rRNA konnten die zeitliche Abfolge der Aufspaltungen anhand von Apomorphien geklärt werden; das Kladogramm kann jedoch keine Aussagen über den absoluten Zeitpunkt der Aufspaltungen wiedergeben. [1]

Im Sommer 2009 fand ich eines Morgens den Rindenmulch in meinem Garten in einiger Unordnung. Zuerst hatte ich die Hühner des Nachbarn im Verdacht, aber schon bald fand ich am Ende der Spuren zwei Exemplare der leuchtend gelben Lohblüte (Fuligo septica), die wie Amöben über den Boden gekrochen waren und die Pinienrinde in einer Art Bugwelle vor sich her geschoben hatten. 

Gelbe Lohblüte, Hexenbutter (Fuligo septica)
Gelbe Lohblüte (Fuligo septica) im August 2011.

Im Bild links: Ein Exemplar der Gelben Lohblüte (Fuligo septica) beim Heraufklettern auf einen Baumstumpf. Die weißliche Kriechspur sind Nahrungsreste- Bakterien, Einzeller, kleine Pilze und Hefen.

 

Auch wenn die Schleimpilze, darunter die Gelbe Lohblüte, heutzutage nicht mehr zu den Pilzen gezählt werden, werden diese interessanten Lebewesen auf den folgenden Seiten beschrieben.

Das größte Lebewesen der Welt ist ein Pilz: im Malheur National Forest (Oregon,USA) wurde im Jahr 2000 aufgrund der Untersuchungen zu einem rätselhaften Waldsterben ein Hallimasch entdeckt, der ganze Wälder "abholzt". Der Pilz- genetische Untersuchungen bestätigten, daß es sich nur um ein einziges Exemplar handelt- bedeckt mittlerweile nach rund 2400 Jahren Lebenszeit eine Fläche von etwa 880 Hektar und bringt insgesamt geschätzte 600 Tonnen auf die Waage, das entspricht immerhin der Masse von 4 bis 6 Blauwalen.

 

Die Liste nützlicher Eigenschaften der Pilze ist so lang wie die Liste ihrer (aus menschlicher Sicht) schädlichen Eigenschaften; denken wir nur an den Hausschwamm, an gesundheitliche Schäden an Mensch und Tier durch Pilzbefall sowie Sachschäden durch Schimmelpilze. Wer schon mal ein Brot oder andere Lebensmittel zu lange gelagert hat weiß: Pilze sind in unserem Leben allgegenwärtig!

 

Doch andererseits wären Antibiotika, Backwaren, Käse, Bier und andere Dinge ohne Pilze völlig undenkbar; unsere Erde wäre noch mit Totholz aus der Kreidezeit bedeckt, wenn Pilze es nicht längst abgebaut hätten; viele Bäume würden kümmern oder gar nicht erst Fuß fassen ohne ihre symbiontischen Partner, Flechten könnten ohne den Pilzpartner viele Erstbesiedlungen unwirtlicher Substrate nicht durchführen...

 

Pilze haben also nicht von Hause aus nur "gute" oder "schlechte" Eigenschaften, sondern dies hängt jeweils vom Standpunkt des Betrachters ab.

 

Pilze (auch die "niederen" Rost- und Schimmelpilze, Hefen usw.) sind Destruenten: sie zersetzen tote (in einigen Fällen auch lebende) organische Materie, um Ausgangsstoffe und Energie für ihren eigenen Stoffwechsel zu gewinnen. Bereits dadurch verrichten sie innerhalb der natürlichen Kreisläufe einen unschätzbaren Dienst, indem sie tote organische Materie kompostieren und dem Stoffkreislauf wieder in verwertbarer Form zur Verfügung stellen. Doch das Wirken der Pilze geht weit über die destruktive Tätigkeit hinaus: im Laufe der Evolution sind Pilze verschiedenster Arten Symbiosen mit Algen (Flechten), höher entwickelten Landpflanzen (Mykorrhiza) oder sogar Tieren (Blattschneiderameisen) eingegangen.

 

Wissenschaftler schätzen ein, daß die Mykorrhizabildung die Landbesiedlung durch Pflanzen vor rund 400 Mio. Jahren zumindestens wesentlich erleichtert, wenn nicht sogar überhaupt erst ermöglicht hat. In unserem Zeitalter hat die Wurzelverpilzung (Mykorrhiza) wesentliche Bedeutung für die Waldgesundheit: ohne Mykorrhizapartner kränkeln und kümmern Baumkulturen und sind für jede Form von Umweltstreß (Luftverschmutzung, Trockenstreß) um ein Vielfaches anfälliger.

 

 

Einzelnachweise

[1] Madigan, M.T. et al.: Brock. Mikrobiologie, 2000

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